Schwarze Nacht mit Szene-Legende DAS ICH

Gut für das Seelenleben

Ein Knaller! Und für den zieht die Schwarze Nacht Lauscha ausnahmsweise mal nach Neuhaus. Das Line-Up vom Feinsten: Scherbentanz, Rabengott, Blakylle, Massiv in Mensch, CNVX, Sorrownight, Everything dies – und eben DAS ICH! Und dann überraschen Bruno Kramm und Stefan Ackermann auch noch pünktlich zur Schwarzen Nacht mit einem komplett neuen Album. Den ersten neuen Songs seit mehr als 15 Jahren! Ein Grund mehr mal mit Das Ich – Mastermind Bruno Kramm zu telefonieren.

Kramm, Jahrgang 67, gebürtiger Münchner, Musiker, Labelmacher, Politiker, KI-Experte – der Mann hat eine beeindruckende Vita. Und sicher vieles schon erlebt. Eine Schwarze Nacht mitten im südthüringischen Nirgendwo noch nicht, sagt er. Er, der mit den unterschiedlichsten Projekten und Bands all die großen und kleinen Festivalbühnen zwischen Leipzig und Mexico City bespielt hat, der mittlerweile selbst irgendwo in der brandenburgischen Pampa mit Familie sesshaft geworden ist, muss zugeben: Lauscha? Nee, da klingelt nix. Das holt er mit seiner Band Das Ich jetzt nach. Und freut sich auf ein Konzert im „strukturschwachen Raum“.

„Szene-Gänger gab und gibt es auch auf dem Land. Die orientieren sich vielleicht an den jeweiligen Metropolen, sind auf Events wie dem Wave Gotik-Treffen und anderen. Aber dann freuen sie sich natürlich riesig, wenn die Musik zu ihnen kommt. Und ich bin dann immer wieder baff zu sehen, wie viele schwarze Leute es eben gerade auch so im provinziellen Bereich gibt.“

Die gibt es zweifellos. Mag sein, dass die Schwarze Szene älter, sesshafter geworden ist. Aber Pärchen, die vor Jahren noch die Wochenenden beim WGT oder M’ER A LUNA vertanzt haben, sorgen ja, älter werdend, auch für schwarzen Nachwuchs. Und so beobachtet Kramm ganz treffend, dass gerade in der Provinz auch eine Menge junges Volk, begeistert vom Post-Punk-Revival oder den nicht tot zu kriegenden elektronischen Spielarten des Genres herumläuft. Bereit Neues, aber eben auch die Helden ihrer Eltern zu entdecken. Wie Das Ich. Die 2006 ihr letztes Album, 2008 mit „Kannibale“ eine letzte EP veröffentlichten.

Live blieben sie weiter präsent. Aber neue Musik war nicht drin. Ein Grund war natürlich die schwere Krankheit von Sänger Stefan Ackermann. Die Band musste lange Zeit ohne ihn auskommen, während er gezwungen war, sich Zeit zu nehmen, alles wieder neu zu lernen. Das Ich haben eine Weile eher im Ausland gespielt. Oder eben gar nicht. Es hätte neue Songs geben können, ein ganzes Album war schon im Kasten. Aber Bruno meint, das habe sich einfach nicht richtig angefühlt und so blieb es liegen.

Dann kam Corona und Bruno musste wie alle MusikerInnen neue Wege gehen, um sich und seine Familie über Wasser zu halten. So gründete er mit Anderen ein KI Start-Up in Sachsen-Anhalt und ist heute ein echter Experte auf diesem Gebiet. Man kann Stunden mit ihm über Chancen und Risiken bei diesem Thema reden und auch streiten. Kramm hat sogar die letzte Bundesregierung bei diesem Thema mit beraten und stimmt gerade mit Blick auf die Musik nicht in den Chor der Skeptiker ein. Wenn alles nur noch glatt und generisch aus der Maschine kommt, dann können Alternative-Musiker wie er, die immer wieder mit Regeln brechen und Dinge musikalisch ganz anders machen, viel wichtiger in der Gesellschaft werden.

„Also ich sehe da, auch im Sinne von Adorno, eine große Chance für wirkliches Musikschaffen, für menschliches Musikschaffen. Du musizierst ja, um deinem Seelenleben gut zu tun. Warum lassen wir unsere Kinder Musikinstrumente lernen? Weil wir wissen, in dieser harten Welt ist ein Musikinstrument die Chance, irgendwie immer Kontakt zu deinem inneren Ich zu halten. Und deswegen finde ich es schon ein bisschen komisch, dass man ausgerechnet die Dinge an die KI abgeben möchte, die der schönste Teil des Menschseins sind, nämlich kreativ zu sein.“

Man sollte nun aber nicht fürchten, dass Das Ich im Jahre 2025 plötzlich dem Optimismus huldigen würde. Auch und gerade nicht mit dem für Ende Oktober angekündigten neuen Album „Fanal“. Mit „Lazarus“ gibt es einen ersten neuen Song. Klingt tatsächlich sehr vertraut in Sound und Stimmung. Dem soll auch das Album folgen, erklärt Kramm: „Es ist finster und fies, insofern ist es wie gewohnt. Aber es bezieht sich schon sehr stark auch auf die Dinge unserer Gegenwart. Auf dieses postfaktische Zeitalter, wo Dinge stattfinden, die man sich niemals hätte vorstellen können. Wo Oligarchen, die einst den digitalen Wandel angeführt haben, der für uns alle Freiheit bedeutet hat, plötzlich dieselben Systeme nutzen, um die Welt aufzuteilen, neue Grenzen zu ziehen, neue Mauern zu bauen. Wenn wir uns die politische Situation in der Welt anschauen…Das ist ja echt grausig! Und so ist das Album „Fanal“ auch ein Zeichen, ein Symbol für all das. Die Songs beschäftigen sich viel mit all dem Egoismus, den Lügen in unserer Gesellschaft. Und insofern ist es natürlich der Tradition von das Ich klar verbunden.“

Das Ich im Hier und Jetzt? Das käme durchaus überraschend für den unabhängigen Betrachter. Doch Bruno Kramm sieht da Parallelen zu den späten 80ern, als Das Ich zum ersten Mal die Szene betraten. Bruno und Stefan begannen ursprünglich in der fränkischen Provinz. Eine damals, wie er sagt, sehr „frömmelige“ Gegend. Da waren die frühen Klassiker „Gottes Tod“ oder „Des Satans neue Kleider“ pure Blasphemie. Und heute? „Wenn man sich die Situation jetzt anschaut, wie verlogen postfaktisch alles ist. Glaube zählt mehr als Fakten. Und insofern ist es natürlich auch eine Kritik an dieser Glaubenswelt von heute.“

Und so zitiert Kramm gleich einen der neuen Songs, Dantes Hölle. Textlich natürlich mit Bezug auf die historische Figuren:

Stimm ein in den Chor der Brut, berauscht dich an Lug und Trug, folge dem Hass und der Gier, ein Schauspiel tief in dir, wir leben nur einmal, nehmen es uns zweimal, leuchtet farbenfroh, die Welt brennt lichterloh!

Aber: Folge dem Chor der Brut und Lug und Trug zielt schon auf das Jetzt, wo Menschen auf Parteien wie die AfD oder Donald Trump in den USA hereinfallen. Wir leben nur einmal, aber nehmen es uns zweimal zielt auf die Art und Weise, wie wir unsere Umwelt ausbeuten.“

Das Ich und Bruno Kramm haben immer noch etwas zu sagen. Machen sie bei der Schwarzen Nacht Lauscha am 6. September im Kulturhaus Neuhaus am Rennweg.

Autor: Hendryk Proske